Ein unerwarteter Besuch
Ein dumpfer Schlag vom Fenster riss Theo aus dem finalen Kampf Harry Potters mit Voldemort. Ein kurzer Blick, nichts, also weiter gelesen. Dann wieder dieser Schlag gegen die Scheibe und wieder nichts zu sehen. Es ließ sich nicht ignorieren. Vielleicht ein Vogel, der gegen die Scheibe geflogen war? Theo stand auf, öffnete das Fenster, ein Blick auf nach draußen, nach unten, da war nichts. Im Hof war auch niemand zu sehen. Es war auch einfach zu heiß heute und kein Lüftchen wehte. Der Himmel war bedeckt von schwarzen Wolken. Es war so dunkel, als ob die Nacht schon begonnen hätte. Dabei war es gerade erst Mittagszeit. Es würde wohl ein Gewitter geben. Niemand wollte draußen sein und man schloss die Fenster gegen die Hitze, hoffte auf Abkühlung und rührte sich sonst nicht. Für Theo war das vollkommen in Ordnung so. Er konnte seinen Harry Potter zu Ende lesen und seine Mutter würde ihn nicht damit nerven, dass er doch mal rausgehen sollte, spielen mit anderen Kindern so wie ein normaler Junge in seinem Alter. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie andere Jungs in seinem Alter ihre freie Zeit verbrachten. Die meisten saßen jetzt vor ihrem Computer und spielten Ballerspiele oder sie guckten sich Videos an.

Theo wollte sich schon umdrehen, zurück zu seinem Bett, wo Harry Potter auf ihn wartete, als er ein merkwürdiges Flimmern in den Blättern der Eiche bemerkte, die direkt vor seinem Fenster stand und den Blick auf die gegenüber liegenden Häuser versperrte. Er hörte jetzt ein Rauschen und Flattern, während das Flimmern stärker wurde. Die Blätter bewegten sich immer heftiger, in den Zweigen der Eiche entwickelte sich eine Miniwindhose von etwa 40 cm Höhe und 10 cm Durchmesser. Das Rauschen veränderte sich zu einem lauten Sirren, das immer höher wurde und dann gab es einen Schrei, sehr hoch, fast piepsig. Das Drehen der Windhose kam abrupt zum Stehen und kurz glaubte Theo, eine Gestalt in der Windhose zu erkennen. Die Gestalt, was immer das war, rauschte jetzt durch die Blätter und Zweige der Eiche und plumpste mit einem dumpfen Laut auf den Boden. Theo beugte sich aus dem Fenster, um besser sehen zu können. Er sah etwas, was nicht sein konnte. Da unten saß ein kleines Mädchen, ein sehr kleines Mädchen und es hatte auf dem Rücken Flügel, feine durchsichtige Flügel wie eine Libelle. Er konnte die Flügel sehr deutlich sehen, weil das Mädchen den Kopf nach vorne beugte und sein Gesicht in den Händen verbarg. Es trug ein grasgrünes Kleidchen, das in der Taille mit einem silbernen Gürtel gebunden war. Ein weinendes Mädchen mit Flügeln, das aus einer Windhose gefallen ist und nun unter der Eiche sitzt.
Was sollte das jetzt? War er verrückt geworden? Hatte er zu viele fantastische Geschichten gelesen, sodass er jetzt schon selber fantasierte? War es einfach zu heiß und in seinem Kopf waren ein paar Sicherungen durchgebrannt? Er schüttelte den Kopf, kniff die Augen zu und wieder auf. Aber was er sah, das sah er. Das Mädchen hob jetzt den Kopf und sah zu ihm hoch. Es sah ihn an! Und es schaute nicht freundlich dabei.
Theo hörte sein Herz klopfen und wich einen Schritt zurück vom Fenster.


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