Theo wartete, bis er hörte, wie seine Mutter die Wohnungstür von außen schloss und ging dann zurück in sein Zimmer.
Eulalia saß immer noch auf seinem Bett, hielt in der Hand einen Umschlag aus Papier, einen altmodischen Briefumschlag.
„Na da bist du ja endlich, das wurde aber auch Zeit, genau! Ich muss doch meinen Auftrag erfüllen und dann muss ich zurück, genau. Also hier ist der Umschlag, den ich dir geben soll, genau. Tara sagt, dass du der Sohn von Ferdinand dem Gaukler bist. Sie hat mir genau beschrieben, wo ich dich finde. Und hier bin ich und du bist der, den ich aufsuchen soll.“
„Aber das kann doch alles nicht sein. Wer ist Tara und wieso schickt er dich hier her zu mir?“
Eulalia schüttelte den Kopf.
„Tara ist kein Er, sondern eine Sie, jedenfalls meistens glaube ich, genau! Tara ist eben Tara eine Zauberin, eine Clownin, eine Hexe, niemand weiß das so genau, genau! Sie ist mal hier mal dort. Tara tauchte plötzlich auf bei Amalia, meiner Mutter.
Sie erzählte uns von diesem Ferdinand dem Gaukler, der seinen Sohn suchen würde. Genau! Es wäre sehr wichtig für ihn und für das Andersland, wenn er ihn finden würde, genau. Und dieser Sohn müsse unbedingt ins Andersland kommen.
Tara wusste, wo dieser Sohn zu finden wäre, nämlich hier in dieser Welt, hier in dieser Wohnung. Die Elfen kennen eine geheime Möglichkeit hierher zu kommen.
Also bat Tara darum, dass eine von uns herübergehen solle und diese Nachricht und diesen Umschlag übermitteln solle. Und es ist so, dass niemand, auch eine Elfenkönigin nicht, die Bitte einer Tara abschlagen könnte. Genau.
Die Botschaft, die ich überbringen soll, ist die, genau:
Komm ins Andersland zu deinem Vater. Er braucht dich jetzt! Genau!“
Theo verstand gar nichts mehr. Was erzählte diese Elfe da? Sein Vater sollte in einer Anderswelt leben? Als Gaukler? Und er wollte seinen Sohn sehen? Was sollte das? Wenn das stimmte, wieso kam er dann nicht selber, und warum hatte er sich die ganzen Jahre nicht gemeldet. Und jetzt schickte er so ein Fabelwesen aus einer Fabelwelt und er sollte zu ihm kommen. Theo war hin und her gerissen zwischen Verweigerung irgendetwas zu glauben, von dem war er gerade erfahren hatte und einem vagen Hoffnung, dass Eulalia recht haben könnte. Tief in seinem Inneren war er immer überzeugt gewesen, dass sein Vater leben würde.
Wie mit einem Schlag erinnerte er sich jetzt an diese Träume, die er schon längst vergessen hatte. Er hatte früher öfter davon geträumt, dass sein Vater ihm im Traum erschienen war, dass er mit ihm gesprochen hatte, dass er gesagt hatte, dass er ihn lieben würde, dass er ihn sehr vermissen würde. Die Träume waren gekommen, als er sechs oder sieben Jahre alt gewesen war. Er hatte geweint, als er wach wurde und er feststellen musste, dass es nicht wirklich war. Irgendwann hatten diese Träume aufgehört und wurden von ihm tief in seinem Unterbewusstsein vergraben. Also war es doch wahr und seine Mutter hatte ihn die ganze Zeit angelogen. Wieso hat sie das gemacht? Aber wenn es stimmte, warum kam dann sein Vater nicht selber, warum hatte er ihn so allein gelassen all die Jahre?
Eulalia reichte ihm den Umschlag.
„Hier nimm das, ich muss jetzt wirklich los, genau.“
„Aber, wie soll das gehen? Wie soll ich denn den Weg finden? Nimmst du mich nicht mit oder zeigst mir den Weg?“
„Keine Ahnung, genau. Elfen können hin und her wandern. Menschen können das nicht. Sie brauchen einen Übergang, ein Tor, genau. Wo das zu finden ist, weiß ich nicht und Tara hat auch nichts davon gesagt. Aber vielleicht wird alles in diesem Umschlag erklärt, genau. Hier nimm jetzt!
Ich muss jetzt los. Wenn du durch das Tor kommst, wirst du mich dort finden, genau!“
Sie drückte ihm den Umschlag in die Hand, und flog los, aus dem Fenster raus ohne sich umzusehen. Draußen dann drehte sie sich um sich selber, immer schneller, bis nur noch ein sirrender durchsichtiger Wirbel zu sehen war, der auf einen Schlag gänzlich verschwand. Nichts mehr war zu sehen von Eulalia. Die Sonne war wieder herausgekommen und die Luft war frischer als vor dem Gewitter.
Theo stand lange völlig regungslos, und sah Eulalia hinterher, bzw. versuchte zu verstehen was passiert war. Ein Traum? Eine Halluzination? Die Hitze und das Gewitter mussten sein Gehirn überhitzt haben.
Dann bemerkte er den Umschlag in seiner Hand. Zögernd sah er ihn genauer an. Er war wirklich, festes braunes Papier, ein gewöhnlicher Briefumschlag. Kein Name, kein Absender, nur auf der Rückseite ein altmodisches rotes Siegel mit einer Krone, die aber auch eine Narrenkappe sein konnte sowie einem Dolch oder Schwert. Um das Siegel nicht zu zerstören, nahm er sein Taschenmesser von seinem Schreibtisch und schlitzte den Umschlag auf.
Es war tatsächlich ein Brief darin, handgeschrieben mit großen geschwungenen Buchstaben auf einem rauen fast durchsichtigen Papierbogen. Hastig, mit zitternden Fingern zog Theo ihn heraus und begann zu lesen:
Lieber Theo,
wenn du diesen Brief liest, wirst du schon einen ungewöhnlichen Besuch gehabt haben. Verzeihe mir, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe. Aber es war mir nicht möglich.
Womöglich wirst du alles für einen bösen Traum halten, aber ich kann dir versichern, alles ist so, wie es dir Eulalia erzählt hat. Wir in Andersland sind in großer Gefahr und damit auch alle in deiner Welt.
Du kannst die große Gefahr, die über uns schwebt, abwenden. Dafür musst du hierher ins Andersland kommen. Wenn wir uns dort treffen, werde ich dir alles genau erklären und die vielen Fragen, die du sicher haben wirst, beantworten.
Nimm die Eintrittskarten, die bei dem Brief liegen und gehe ins Panmysterion. Dort wirst du den Weg ins Andersland finden.
Dein Dich über alles liebender Vater
Ferdinand
Dann waren da noch zwei Stück bedrucktes Papier, festes glänzendes Papier mit Verschnörkelungen um den Text:
Eintrittskarte
Panmysterion
Gültig: Nur Heute
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