Die Dinge ändern sich

Jetzt werde ich bald 57 Jahre alt. Ist das alt? Oder jung? Niemand weiß das so genau. Das Leben rast mit mir, nicht an mir vorbei, aber es rast. Und mit zunehmenden Alter wird es auch immer schneller. Für mich ist es keine Frage, ob ich die Schwelle der Hälfte des Lebens überschritten habe. Es ist so. Alt ist man mit der Seele. Manchmal denke ich, meine Seele ist noch noch ganz jung, hat noch so viel zu lernen und zu erleben. Dann kommt sie mir uralt vor, wenn ich mir anschaue, was sie alles schon gelernt und erlebt hat.

Vieles von dem, was ich vor 40 Jahren als feststehend und unveränderlich gesehen habe, ist heute nicht mehr. Politische und wirtschaftliche Entwicklungen, der Faschismus in Spanien und Portugal, die DDR, das System des real existierenden Sozialismus, der siegreiche Kapitalismus, der nun heute durch die sogenannte Finanzkrise auch wieder in Frage gestellt wird. Als ich 12 Jahre alt war glaubte ich, man müsste, und ich als Befreiungsheld dabei, unsere Landsleute in der Ostzone mit Gewalt befreien.

Vor 30 Jahren hatte ich mein Studium gerade beendet, Gabi ist in mein Leben getreten und unsere Liebe hat uns beide überwältigt, einschneidende Veränderungen in unserem Leben vorzunehmen, nämlich, es gemeinsam zu verbringen. Anna kommt dazu und wir sind schon zu dritt. Zwei Jahre vorher habe ich von einem Leben mit Kindern noch nicht einmal geträumt. Wir verändern uns und um uns herum die Welt. Wir träumen und malen uns ein alternatives Leben in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, ohne Konkurrenz und Hierarchie, mit Achtung der natürlichen Ressourcen und der gegenseitigen Wertschätzung. Um uns herum werden Atomkraftwerke gebaut und wir demonstrieren dagegen. Sie werden trotzdem gebaut aber nicht alle es kommt der Zeitpunkt, wo neue „politisch nicht durchsetzbar“ werden.

Vor 20 Jahren, 1989 fällt die Mauer in Berlin und wir, nunmehr mit Hannes, wohnen in Osten in der Kirchstraße. Achthöfen ist besetzt und wir sind hoch verschuldet. Später können wir den Hof verkaufen. Wir haben versucht unsere Träume umzusetzen und sind dabei auf die Nase gefallen. Aber wir lieben uns, kämpfen zusammen und hören nicht auf zu träumen. Wir haben den Abgrund gesehen und das Theater, die Kunst, das Kreative entdeckt. Wir lernen, dass die Dinge sich ändern. Und wir lernen, dass sie sich ändern müssen, ob wir das wollen oder nicht.

10 Jahre ist es her, unser Wohnort ist die Wingst, Achthöfen Geschichte, Anna macht Abitur, Julien geht zur Waldorfschule. Gabi hat vor zwei Jahren ihren Job in der FABI geschmissen und sich auch selbstständig gemacht. Ich arbeite für die VHS, Handwerkskammer etc. Das Geld reicht immer so gerade nicht. Aber wir hören nicht auf zu träumen und uns gegenseitig zu unterstützen.

Und schon ist 2009 und Gabi und ich wohnen wieder in Hamburg in der Wohnung, in die ich vor 30 Jahren nach langem Zögern mit ihr zusammen gezogen bin und in der Anna geboren wurde. Wieder hat sich so vieles verändert, beruflich, politisch, wirtschaftlich. Was geblieben ist, ist meine Liebe zu Gabi und zu Anna und Julien. Wobei mir klar wird, was wirklich wichtig ist im Leben. Ich fühle mich dankbar und reich beschenkt mit einer wunderbaren Frau und wunderbaren erwachsenen Kindern. Die Dinge ändern sich. Sie entwickeln sich und streben nach vorne. Wir wissen nur oft nicht, wo vorne ist.


2 Antworten zu „Die Dinge ändern sich“

  1. Avatar von Julien

    Danke für den schönen Einblick in dein Leben. Also ich hab tränen in den Augen :-)Dein Julien

  2. Avatar von Anonym
    Anonym

    Das lese ich ja jetzt erst! *schnüff* Also, ich muss grad ganz schön schlucken und ich habe dicke Kullertränen in den Augen. Schön hast du das geschrieben! Es ist wundervoll einen Papa zu haben, der so weise, leidenschaftlich und voller Liebe ist. Ich bin sehr gerührt, Papipaul. Auf neue und aufregende Zeiten, es geht immer irgendwie weiter und wir gestalten uns das Leben schön. \“Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt!\“ (Pippi Langstrumpf)feste Umarmung von Anna

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